12.03.2011 Neues aus der Genomforschung beim Hund

Was sollte der Züchter über Hundegenetik wissen?

Neues aus der Genomforschung beim Hund
Prof. Dr. Ottmar Distl, Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Bünteweg 17p, 30559 Hannover, email: ottmar.distl@tiho-hannover.de

1 Einleitung

Am Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung wird aktiv und seit langer Zeit für die Gesundheit der Hunde geforscht. Unsere Forschungsergebnisse tragen wesentlich dazu bei, dass Krankheiten genetisch aufgeklärt und die Bedeutung von Umweltfaktoren zur Entstehung von Krankheiten quantifiziert werden. Anschließend werden diese Erkenntnisse in Zuchtprogrammen umgesetzt.
Die Ursachen vieler dieser Erkrankungen können über moderne Forschung aufgeklärt werden. Insbesondere die Genetik und Genomforschung tragen zu neuen Erkenntnissen bei und helfen, schlimme und qualvolle Erkrankungen zu vermeiden. Mittels Genomanalysen können Veränderungen in den Genen identifiziert werden, die für das Entstehen einer Krankheit verantwortlich sind oder wesentlich zu ihrer Entstehung beitragen. Mit diesen Erkenntnissen ist es dann möglich, Hundezüchter über die Ursachen aufzuklären, eine Früherkennung zu ermöglichen und das Auftreten dieser Erkrankungen zu verhindern. Für eine nachhaltige Forschung sind wir auf die Unterstützung von jedem einzelnen Hundehalter, Hundezüchter und Tierarzt angewiesen.
Unsere Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf Skelett- und Stoffwechselerkrankungen, Epilepsie, Taubheit, Gehirn- und Herzerkrankungen sowie auf die Gesunderhaltung von älteren Hunden und die Verbesserung der Lebenserwartung.

2 Grundbegriffe der Genetik

Jeder Hund unterscheidet sich von einem anderen Artgenossen durch eine Vielzahl von Merkmalen, sei dies in Merkmalen der Gesundheit, des Körperbaus, des Verhaltens, der Fellfarbe und vielen weiteren Eigenschaften. Die Ursachen für die Unterschiede können durch Umweltfaktoren und/oder genetische Faktoren verursacht sein. Inzwischen ist bekannt, dass die meisten Merkmale einen genetischen Hintergrund aufweisen und diese, je nach Merkmal in einem bestimmten Ausmaß durch die genetische Ausstattung des Hundes bestimmt werden. Vor allem Merkmale des Körpers, wie Fellfarbe, Felltextur, Körpergröße, Ausprägung von Knochenformen und Muskelentwicklung, werden vorwiegend durch genetische Faktoren bestimmt. Bei der Klassifizierung der Merkmale nach ihrer genetischen Determinierung werden folgende Unterscheidungen getroffen:
- Monogene Merkmale:
Diese Merkmale werden durch einen einzigen Genort bestimmt und Umwelteffekte sind i.d.R. von untergeordneter oder ohne Bedeutung. Beispiele dafür sind die Ausbildung von Langhaar, Drahthaar oder bestimmten Fellfarben. Für die Merkmalsausprägung sind bei monogenen Merkmalen jeweils zwei Allele (Allel bedeutet Ausprägungsform eines Gens) verantwortlich. Bei dominanten Merkmalen kann bereits ein Allel die Ausprägung des Merkmals in der abweichenden Form veranlassen. Bei rezessiven Merkmalen müssen beide Allele in der veränderten (mutierten) Form vorliegen, damit das veränderte Merkmal zutage tritt.
- Komplexe Merkmale:
Bei komplexen Merkmalen beeinflussen mehrere Gene die Ausprägung des Merkmals. Umweltfaktoren können zudem eine Rolle bei der Ausprägung des Merkmals spielen. Diese Merkmale sind züchterisch schwieriger zu beeinflussen und die Merkmalsausprägung der zur Zucht eingesetzten Tiere gibt nur eine sehr begrenzte Vorhersagekraft für die daraus hervorgehenden Nachkommen. Die Gründe dafür liegen zum einen darin, dass komplexe Merkmale von sehr vielen Genen beeinflusst werden und sich bei jedem Nachkommen die elterlichen Genvarianten neu mischen. So können auch vollkommen neue Kombinationen entstehen wie auch in früheren Generationen vorhandene Kombinationen wieder auftreten. Damit der Züchter besser abschätzen kann, was aus einer bestimmten Anpaarung für Nachkommen zu erwarten sind, müssen größere Anzahlen von Nachkommen in den Zuchtmerkmalen beurteilt werden. Wenn diese Informationen vorliegen, kann auf die genetische Veranlagung der Eltern besser geschlossen werden als allein aus der Kenntnis der Merkmalsausprägung der Eltern.
Die züchterisch nutzbare genetische Variation innerhalb Rassen wird durch die Heritabilität gekennzeichnet. Bei Merkmalen mit hoher Heritabilität (> 50%) kann aus Kenntnis der Merkmalsausprägung bei den Eltern und einer geringeren Anzahl von Nachkommen (15-20 aus mindestens drei bis fünf verschiedenen Würfen) mit hoher Sicherheit (r2 > 70%) auf die Vererbungsleistung der Eltern geschlossen werden. Bei Merkmalen mit niedrigeren Heritabilitäten sind zunehmend größere Nachkommenzahlen notwendig. Für diese Merkmale wurde die Zuchtwertschätzung für Hunde entwickelt. Die ersten Arbeiten dafür haben wir schon in den 1980er Jahren durchgeführt. Allerdings war damals schon klar, dass nur bei repräsentativer oder besser kompletter Untersuchung von allen Wurfgeschwistern deutliche Zuchtfortschritte zu erreichen sind. Unsere Untersuchungen für Gesundheitsmerkmale zeigten bei vielen Rassen, dass eine Zuchtwertschätzung beim Hund nur eine sehr begrenzte Aussagekraft hat, wenn nicht eine systematische Untersuchung von allen Nachkommen für eine gewisse Anzahl von Würfen erfolgt.

3 Neue Entwicklungen durch die Genomforschung beim Hund

Die Mehrzahl der Gesundheitsmerkmale wird von einer größeren Anzahl von Genen beeinflusst. Diese Merkmale werden in der Genetik als komplex bezeichnet, da nicht ein einziges Gen die Ausprägung der Krankheit bestimmt, sondern eine Vielzahl von Genen mit jeweils unterschiedlicher Wirkung. Erfahrungsgemäß ist mit der Zuchtauslese nach dem Gesundheitsstatus der Zuchttiere (Phänotyp) oder der Zuchtwertschätzung über das BUP-Verfahren eine Verbesserung der Gesundheitssituation nur nach vielen Generationen Zuchtarbeit und somit nur sehr langsam zu erreichen. Häufig erreicht die Zuchtwahl nach dem Phänotyp ein Plateau, das eine weitere Verbesserung der Gesundheit nicht mehr erlaubt. Mit der genomischen Selektion (GES) hat sich diese Situation grundlegend geändert. Es ist möglich, komplexe Gesundheitsmerkmale über dieses Verfahren züchterisch zu verändern und einen signifikanten Zuchtfortschritt innerhalb weniger Generationen ohne wesentliche Inzuchtzunahme zu erreichen. Da bei diesem Verfahren die genetische Diversität einer Population darstellbar ist, kann jederzeit der Grad der Diversität des einzelnen Tieres überprüft und bei der Anpaarungsplanung mitberücksichtigt werden.

4 Grundlagen der genomischen Selektion (GES)

Für die GES wird aus einer Population eine repräsentative Anzahl von Tieren für die Genotypisierung ausgewählt. Diese Stichprobe wird so zusammengesetzt, dass sie zu 50% von der zu untersuchenden Krankheit eindeutig betroffene Tiere und zu 50% von dieser Krankheit freie Tiere enthält. Anschließend erfolgt eine Genotypisierung mit einem Hochdurchsatzverfahren. Für den Hund steht hier ein 170K Illumina Beadchip zur Verfügung. Mit dieser Technologie können mehr als 170.000 Marker, in diesem Falle SNPs (single nucleotide polymorphisms), in einem Reaktionsansatz für jeweils 12 Tiere gleichzeitig bestimmt werden. Für diese Stichprobe werden die Effekte der SNP-Allele auf die Krankheit geschätzt, und zugleich erfolgt ein Filterprozess, um SNPs ohne Effekte auf die Krankheit zu eliminieren. Für das Set relevanter SNPs wird dann eine Teststichprobe genotypisiert und die Vorhersagekraft einschließlich deren Genauigkeit für den Phänotyp und den Zuchtfortschritt überprüft. Anschließend kann die GES für die Selektion angewandt werden. Wird in der Lernstichprobe die Variationsbreite einer Population ausreichend erfasst, dann ist ein hoher Zuchtfortschritt bei Anwendung der GES in kurzer Zeit zu erwarten. Die Höhe des zu erwartenden Zuchtfortschritts in der Population kann direkt an den Ergebnissen der Teststichprobe abgelesen werden.

5 Genomische Selektion gegen Hüftgelenkdysplasie

Für die Hüftgelenkdysplasie (HD) liegen bereits aussagekräftige SNP-Sets für den Deutschen Schäferhund vor und eine große Zahl von Genloci für die HD ist bereits bekannt. Für die Entwicklung erster genomischer Zuchtwerte für HD wurde in diesen Genombereichen eine sehr große Anzahl von SNPs entwickelt und anschließend ein Set von 17 SNPs für die GES ausgewählt. Diese 17 SNPs erwiesen sich als sehr genau und zuverlässig für die Vorhersage der HD. Unabhängig von weiteren Informationen von verwandten Tieren stehen diese 17 SNPs in einer engen Beziehung zur HD. Somit eignen sich diese SNPs für die GES gegen HD. Mittels dieser HD-SNPs wurden genomische Zuchtwerte für den Deutschen Schäferhund entwickelt, die Vorhersagen zum Auftreten der HD im späteren Leben erlauben und die Anpaarungsplanung für die Eltern verbessern. Für die spätere Zucht sagt der genomische Zuchtwert aus, wieviele mit HD assoziierte Genvarianten (Allele) der Hund trägt und weitervererben kann. Die genomischen Zuchtwerte können damit für die Anpaarungsplanung verwendet werden, um die Verteilung der Risiken, das mittlere Risiko und den best- und schlechtestmöglichen Fall für die Nachkommen berechnen zu können. Mit einem entsprechenden Paarungspartner kann die Anzahl der mit HD-assoziierten Genvarianten (Allele) in der Folgegeneration deutlich vermindert werden.
Für die Weiterentwicklung des SNP-Markersets haben wir mehr als 200 Deutsche Schäferhunde an ca. 127.000 SNPs genotypisiert. Dafür haben wir den Affymetrix GeneChip, Array version 2 full set (127.132 SNPs) verwendet. Aufgrund dieser Analysen ließ sich das Markerset deutlich verbessern, so dass Zuverlässigkeiten in der Vorhersagegenauigkeit mittels Teildatensätzen zwischen 70 und 85% erreicht werden konnten. Zum Vergleich werden bei der Zuchtwertschätzung mittels BLUP Vorhersagegenauigkeiten von 0,5-2 % erreicht. Bei einer Zuverlässigkeit von 50% gilt ein Hund als HD-Zuchtwert geprüft und kann dann bei genomischen Zuchtwerten innerhalb der erlaubten Schwellenwerte für die Zucht eingesetzt werden.

6 Weiterentwicklung des Markersets und Übertragbarkeit der genomischen Selektion auf weitere Rassen und Merkmale

Mit der Entwicklung des caninen 170K Illumina Beadchips ist es möglich, Analysen über mehrere Rassen durchzuführen. Die hohe SNP-Dichte gewährleistet, dass in den HD-Genombereichen genügend SNPs vorhanden sind, die bei verschiedenen Rassen informativ sind, und somit mit Hilfe einer Referenzrasse (hier der Deutsche Schäferhund) die GES für Rassen mit kleineren Populationsumfängen realisierbar wird. Hierfür werden mindestens ca. 50 bis 150 Hunde mit Pedigree, HD-Befunden und EDTA-Blutproben benötigt. Pro Hund sollten 3-5 ml EDTA-Blut zur Verfügung gestellt werden. Die Auswahl der Tiere erfolgt aufgrund der Pedigrees und sollte möglichst repräsentativ für die jeweilige Rasse bzw. Population sein. Die Lernstichprobe wird so eingestellt, dass sie 50 % HD-freie und 50 % Hunde mit leichter bis schwerer HD umfasst. Die Anzahl der Hunde für die Lernstichprobe pro Rasse sollte bei Rassen mit sehr kleinen Tierzahlen bei 12 HD-freien und 12 von HD betroffenen Tieren liegen. Bei Rassen mit größeren Populationsumfängen sollten 24 HD-freie und 24 von HD betroffene Tiere verfügbar sein. Für ein erfolgreiches Projekt sollten sich mindestens 10-15 Rassen beteiligen. Der Erfolg des Projektes wird durch die Anzahl der beteiligten Rassen mitbestimmt und die für HD bestimmenden SNPs sollten aufgrund der bisherigen Überlegungen und Analysen schärfer zu fassen sein als bei einer Analyse innerhalb einer einzigen Rasse. Dieser rassenübergreifende Ansatz hat zugleich den Vorteil, dass die jeweils anderen Rassen als Teststichproben verwendet werden können, und somit die Erarbeitung der GES und die Austestung in einem Schritt ablaufen können. Das für die HD dargestellte Verfahren der GES lässt sich in ähnlicher Weise auf andere Merkmale übertragen. Empfehlenswert ist hierbei auch, eine Referenzrasse mit großem Populationsumfang oder mehrere Rassen mit mindestens mittleren Populationsumfängen miteinzubinden. Für neue Merkmale wird der Aufwand zunehmend geringer, da bereits Referenzproben verfügbar und nur mehr Proben von den Tieren mit den entsprechenden Merkmalen notwendig sind. Das Verfahren der GES kann somit für alle interessanten Merkmale schnell und kostengünstig verfügbar gemacht werden. Die Patentierung des Verfahrens durch die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover sichert für Europa eine kostengünstige Anwendung der GES beim Hund.

7 Die Blutprobe für die Wissenschaft in Hannover

Für die molekulargenetische Aufklärung werden Blutproben von Hunden benötigt. Aus diesen Blutproben wird die Erbsubstanz (DNA) gewonnen und für die Genomforschung verwendet. Deshalb wollen wir Sie motivieren, uns eine Blutprobe von Ihrem Hund für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Diese Probe soll mit einem Einsendebogen an uns geschickt werden. Die Begleitformulare und Hinweise zu Entnahme und Versand finden Sie auf unserer Web-Seite. Alle Proben werden streng vertraulich behandelt. Wichtig sind uns Proben von Hunden, die von einer Erkrankung betroffen sind und auch von solchen Hunden, die gesund sind und ein hohes Alter erreichen.

8 DNA-Banken für die Forschung

Anhand der Blutproben erstellen wir DNA-Banken. DNA-Banken sind ein sehr hilfreiches Instrument, um bei einer Hunderasse Merkmale molekulargenetisch aufzuklären und die Forschung nachhaltig gestalten zu können. Wir bieten auch dem Hundeliebhaber an, die DNA von seinem Hund bei uns einzulagern. Ein Projekt für den Rhodesian Ridgeback beginnt mit der Einsendung der ersten EDTA-Blutptobe an uns. Tun Sie also den ersten Schritt, indem Sie uns eine Blutprobe von Ihrem Hund oder Ihren Hunden zuschicken

9 Bisheriger Stand

Neben dem Deutschen Schäferhund wurden bisher bereits acht weitere Rassen auf ca. 170.000 SNPs genotypisiert. Für das Projekt neu hinzugekommene Rassen sind Untersuchungen im Jahre 2011 vorgesehen. Die Probensammlung hat sich für die an dem Projekt beteiligten Rassen sehr positiv entwickelt und es ist zu erwarten, dass sich noch eine größere Zahl weiterer Rassen anschließen wird. Ebenso hat sich die Merkmalspalette erweitert, da das genomweite Verfahren für alle Merkmale anwendbar ist, und eine rasche Aufklärung monogener und komplexer Merkmale ermöglicht. Es ist nach den Entwicklungen in der gesamten Tier-, Pflanzen- und Humangenetik zu erwarten, dass die genomweiten SNP-Verfahren zu dem Standardverfahren auch in der Hundezucht werden.